Guten Morgen – Heute zum Sonntag gibt es von mir, Sophie von Näähglück – by Sophie Kääriäinen einen kleinen Einblick in die Geschichte der Konfektion – oder auch: warum gibt Größen?
Wer kennt es nicht? Am liebsten würdest du eine Hose in einer Größe 38 kaufen, aber du passt nur in die 42 – oder in deinem Lieblingsladen passt dir immer die Größe 46 und bei einem Schnittmuster sollst du plötzlich die Größe 52 nähen? Da stimmt doch etwas nicht, oder? Sonst ist doch immer alles genormt? Heute gibt es hier mal einen etwas anderen Beitrag, der ungewöhnlich viel Text hat für meine Verhältnisse, aber mir sehr am Herzen liegt, also schnappt euch eine gemütliche Position und los geht’s!
Schon einmal vorweg gegriffen – nein, Konfektionsgrößen sind nicht genormt, nicht deutschlandweit, nicht europaweit und schon gar nicht weltweit, aber fangen wir einmal von vorn an. Also ganz von vorn.
Schon Höhlenmenschen begannen, sich mit einfachen Fellen oder Lederhäuten zu bekleiden. Im Laufe der Zeit wurden neue Materialien zur Herstellung von Kleidung entdeckt und entwickelt – und neue Techniken erfunden (wie z.B. das Weben, Stricken, Färben, Nähen, …). Während anfangs die Kleidung eher formlose Stoff- und Fellstücke waren, die durch Stricke, Gürtel oder Broschen zusammengehalten wurden (Ägyptisches Altertum, Griechische Antike, Römische Antike), kamen nach und nach auch einfache Schnittmuster zur Verwendung (ab dem Mittelalter).
Danach änderte sich erst einmal lange Zeit bis zur Industrialisierung in der zweiten Hälte des 19. Jahrhunders nur wenig. Der Geschmack der Mode änderte sich, aber der Grundsatz der Entstehung blieb lange Zeit ähnlich. Kleidung wurde zu Hause selbst gefertigt und ausgebessert oder man bestellte sie beim Schneider. Kleidungsgrößen waren damals also noch ein Fremdwort – die Person wurde vermessen und anhand dessen das Kleidungsstück angefertigt. Natürlich gab es auch damals Schönheitsideale, die Frauen zu absurden Dingen trieben, aber das wäre für den Beitrag etwas zu viel.
Die Industrialisierung kam und mit ihr die Erfindung vieler Maschinen zur Textilherstellung, welche sich im Grundprinzip bis heute nur kaum verändert haben. Spinnereien, Webereien und vor allem die Erfindung der Nähmaschine 1846 ließen es zu, Kleidung industriell zu fertigen.
Bis zur Erfindung der Warenhäuser wurden Kleidungsstücke direkt beim Schneider bestellt, doch die Wende begann mit dem ersten Warenhaus in Paris, “Le Bon Marché”, welches 1852 seine Türen öffnete. Zum ersten Mal wurden Kleidungsstücke mit einem Festpreis ausgepreist, angefasst und ohne Kaufabsicht anprobiert werden. Zum ersten Mal durften Frauen ohne männliche Begleitung ihren Tag verbringen. Aber für diesen Artikel am wichtigsten: Die Geburt der Kaufhäuser war ebenfalls die Geburt der Konfektion und der Konfektionsgrößen. Denn fertige Ware muss ja auch eine bestimmte Größe haben. Schaue dir hierzu gern den Dokumentarfilm “Die Geburt des Shoppings” an.
Im Laufe der Zeit änderten sich die Konfektionsgrößen. Die Änderung der Größen liegt am Zeitgeist und auch an den weiblichen Körpern selbst. Eine durchschnittliche Frau 1900 hatte eine andere Figur als eine durchschnittliche Frau von heute. Auch die Möglichkeiten zur Vermessung wurden immer besser. In Deutschland übernehmen solche “Reihenmessungen” die Hohenstein-Institute. 2007 erfolgte eine mit Laserganzkörperscannern durchgeführte Messung, welche im Auftrag vieler Firmen der Kleidungs- und Automobilbranche durchgeführt wurde. Die Ergebnisse dessen sind jedoch nicht öffentlich zugänglich und müssen teuer gekauft werden, denn eine gute Passform ist wichtig in der Industrie.
Wenn man sich die Liste der an der Messung beteiligten Firmen ansieht, kommt zurecht die Frage auf: Warum haben nicht alle diese Mode-Labels die gleichen Größentabellen? Wieso muss ich in einem Laden eine andere Größe bestellen als in einem anderen?
Für diese Problematik gibt es weitreichende Gründe. Zum einen hat nicht jeder Laden die gleichen Kunden. Jüngere Frauen oder Männer haben zum Beispiel einen anderen Körperbau als ältere Kundinnen oder Kunden. Weiterhin gilt es in der Industrie immer möglichst günstig zu produzieren. Wieso soll man also eine X-beliebige Anzahl Größen produzieren lassen, wenn man dann auf der Hälfte der Kleidungsstücke sitzen bleibt? Da ist es viel günstiger Doppelgrößen (meist unter den Größenbezeichnungen XS, S, M, L, XL, etc versteckt) zu produzieren oder einfach die Größen zu strecken. Das heißt eigentlich ist die Größe 50 eine 60 aber anstatt die 34 – 60 zu produzieren (14 Größen) muss man dann nur 9 Größen produzieren lassen. Dieses “Größenstrecken” hat den Vorteil, dass man in eine “kleinere” Größe hineinpasst. Toll, da freut sich die Kundin gleich, dass sie ja im Laden XY in die 46 hineinpasst, aber beim Laden YZ da müsste sie ja eine 50 kaufen, nein, da geht sie nicht mehr hin. Das Kleidungsstück wäre aber theoretisch das gleiche. Nur dieser kleine winzige Zettel, ja dieser kleine winzige Zettel, den niemand von außen sieht, zeigt eine andere Zahl.
Wieso ist dieser kleine Zettel so wichtig? Das ist eine gesellschaftspsychologische Frage und würde jetzt hier den Rahmen sprengen. Ja und warum sind die Größenangaben in Schnittmusterbögen meist anders als in “Kaufgrößen” (DIE Kaufgröße gibt es wie gesagt nicht, da aus oben beschriebenen Gründen jeder selbst entscheidet, nach welchen Maßen er produzieren lässt)? Ja da ist es ganz einfach, die Schnittmusterhersteller möchten dir vor allem eines bieten: Qualität und gute Passform, und da hilft es nicht möglichst wenig Größen anzubieten, die Größen zu verfälschen, zu strecken, etc.
Aber weißt du was? Wenn du dein Kleidungstück selbst nähst, dann ist da kein Zettelchen drin, nein, dann ist es wie ganz früher – die Kleidungsgröße ist einfach deine Größe. Ich sage immer – die Größenangabe in meinen Schnittmustern ist nur Mittel zum Zweck – und zwar um die richtigen Linien im Schnittmusterbogen für eure passende Größe zu finden.
Danke für deine Aufmerksamkeit! Jetzt die Frage zum Sonntag: Vermisst du dich vor dem Nähen, oder wählst du auch manchmal deine „Kaufgröße“ und hast dich dann schon einmal geärgert?
Alle Quellenangaben und den Link zum Video findest du in meinem Blogbeitrag.
Sophie Kääriäinen
Den Artikel fand ich sehr interessant und aufschlußreich, danke dafür. Ja, ich vermesse mich, bevor ich einen Schnitt aussuche – ich mag es auf Anhieb passend 🙂
Und ich habe eine Anmerkung zur Schrift auf dieser Seite und überhaupt: anscheinend ist grau auf weiß geschrieben jetzt Mode, aber das ist sehr anstrengend zu lesen, wenn die Augen nicht mehr ganz jung oder krank sind. Schwarz auf weiß liest sich wirklich leichter, weil es gut und deutlich zu erkennen ist.
Ich schaue mir jetzt auch Bücher und Schnittmuster auf die Schrift an, grau auf weiß geschrieben ist für mich ein Kaufausschluß.