Wissen über Schnittmuster – die Einhalteweite

Ist es dir auch schon einmal vorgekommen, das Strecken im Schnittmuster nicht gleich lang waren, obwohl sie aneinander genäht werden? Das ist tatsächlich meist gewollt und verbessert die Passform. Das Zauberwort dazu heißt “Einhalteweite”. Heute erkläre ich dir, was eine Einhalteweite ist, an welchen Stellen sie üblicherweise vorkommt und wie du sie am besten nähen kannst.

Der Mensch ist “rund”

Der menschliche Körper ist von allen Richtungen gesehen ein komplexer dreidimensionaler Körper. Schnittmusterteile liegen dahingegen auf einer zweidimensionalen Ebene. Auch das genaueste Schnittmuster kann also den menschlichen Körper nie exakt abbilden, aber es gibt verschiedene Tricks, wie wir Kleidungsstücke besser an den Körper anpassen können.

Abnäher und Teilungsnähte prägen die meisten Schnittmuster, aber es gibt noch eine kleine “unsichtbare” aber nicht weniger effektvolle Methode die Passform noch weiter zu verbessern – das Hinzufügen und Einhalten einer sogenannten Einhalteweite.

Die Einhalteweite ist eine Mehrweite, also etwas mehr Stoff, welche beim Annähen an eine andere Kante eingehalten wird. Beim Einhalten werden keine Falten gelegt, sondern das Material so gestaucht, dass die Fasern des Stoffes enger aneinander liegen, und so keine Falten entstehen. Manchmal können auch kleine Falten in eine Einhalteweite umgewandelt werden.

Das Mehr an Stoff hilft nicht nur für eine bessere Passform, sondern auch für mehr Bewegungsfreiheit und einen besseren Fall des Stoffes.

Nicht immer jedoch ist eine Einhaltweite nötig oder gar sinnvoll. Je nach Material und Weite des Kleidungsstücks ist der erzielte Effekt einer kleinen Mehrweite so gering, dass sie auch weggelassen wird. Dabei gilt, je dehnbarer das Material, und je lockerer das Kleidungsstück, desto geringer ist der Effekt. Üblicherweise haben lockere Gewebe eine höhere Einhalteweite und feste Gewebe eine geringere Einhalteweite.

Ein Paradebeispiel ist hierbei der enge Ärmel aus wenig oder undehnbarem Material. Bei einem engen Ärmel ohne jegliche Einhalteweite würde der Ärmel ab dem Schulterpunkt gerade nach unten verlaufen, das Kugelgelenk der Schulter würde komplett nicht beachtet werden, und somit kann dann der Arm überhaupt nicht mehr bewegt werden.

Einige Stellen für Einhalteweiten

Die häufigste und wichtigste Stelle ist die Ärmelkugel. An der Ärmelkugel wird am Schnittteil des Ärmels – ca. 2-12 % Mehrweite hinzugegeben. Da die Mehrweite oben am Schultergelenk benötigt wird, wird auch die Einhalteweite hauptsächlich an der oberen Rundung und hinten (durch die Wölbung des Rückens) eingehalten. Als Faustregel gilt, dass man erst ab dem ersten Ärmelpunkt den Betrag einhält. Falls keine Ärmelmarkierungen vorhanden sind, so gilt in etwa ab dem ersten Richtungswechsel der Ärmelkurve einzuhalten.

Achtung! Ist die Strecke deiner Ärmelkurve kürzer als das Armloch, so ist etwas definitiv falsch und du solltest dein Schnittmuster überprüfen und ändern!

Als nächstes folgt die Schulter. Die Schulter ist selbst bei ausagestreckter Brust leicht nach vorn gewölbt, sodass diese Rundung durch ein wenig Einhalteweite an der Schulternaht im Rückenteil verbessert wird.

Achtung! Überstehende Mehrbeträge nicht abschneiden! Es ist immer das Rückenteil an der Schulter breiter, es sei denn, der Brustabnäher ist in die Schulter gedreht und wird dort mit Falten oder Raffungen genäht.

Also wenn du machmal überstehenden Schultern am Rückenteil abgeschnitten hast – ab jetzt machst du das sicher nicht mehr 😉 .

Das alte Thema der Hosen – ja auch bei Hosen gibt es Einhalteweiten – die Innenbeinnaht der Hinterhose ist etwas kürzer und so wird die Vorderhose im oberen Bereich eingehalten, um eine bessere Form an den Oberschenkeln und am Po zu erreichen. Die Knielinien sind immer auf der gleichen Höhe!

Achtung! Die Einhalteweite sollte nicht über das ganze Bein verteilt werden, da sich sonst die Innenbeinnaht verdrehen kann. Es ist immer die Hinterhose kürzer.

Einhalteweite richtig nähen

Wie bei vielen Sachen gilt auch bei der Einhalteweite leider – Übung macht den Meister! Ich empfehle dir, wenn du noch Nähanfänger bist, zunächst einmal zwei gerade Stücken Stoff aneinander zu nähen, die unterschiedlich lang sind. Beginne mit einem kleinen Unterschied – z.B. 20 cm und 20,5 cm und arbeite dich bis zu 20 und 22,5 cm vor. Wenn das dann geklappt hat, so kannst du dich an Rundungen mit einer geringen Einhalteweite heranwagen und später dann noch weiter vorarbeiten. Ärmel mit einer flachen Kurve sind auch einfacher einzunähen als mit einer steilen Kurve. Für das Annähen aller Strecken – auch die Geraden zu Testzwecken – gilt es folgende Tipps beim Stecken und Nähen zu beachten:

Hier habe ich noch einen kleinen Trick für dich – Raffen für besseres Einnähen: Nähe in 2 und 5 mm Entfernung vom Rand der Armkugel mit dem größten Stich ohne zu Versäubern. Ziehe vorsichtig links und rechts an jeweils einem Faden einer Naht, sodass sich der Rand kräuselt.

Stecke immer zuerst den Anfang, das Ende und Markierungen fest.

Stecke so lange fest, bis der Stoff glatt liegt – man kann nicht zu viel stecken! Du kannst den Ärmel auch mit Handstichen heften, wenn du es mit Stecknadeln nicht hinbekommst. Nähe langsam!

So sollte deine fertige eingenähte Schulter aussehen. Sollte sich doch einmal eine kleine Falte eingeschlichen haben, so trenne vor und hinter der Falte 2 – 3 cm auf, streiche die Falte glatt und nähe das Stück noch einmal.

Ausgebildete Industrienäherinnen können tatsächlich Ärmel ohne jegliches Stecken festnähen, aber zu Hause kannst du dir danz in Ruhe deine Zeit nehmen. Viel Erfolg beim Einnähen deiner Ärmel und beim Nähen deiner anderen Einhalteweiten.

ich hoffe, ich konnte dir heute etwas Neues zeigen,

deine Sophie

Quellen und weiterführende Lektüre:

  • Hofenbitzer, G. (2013). Schnittkonstruktion für Damenmode 02. Maßschnitte und Passform.
  • Hofenbitzer, G. (2018). Grundschnitte und Modellentwicklung. Schnittkonstruktion für Damenmode: Grundlagen.

Gezeigtes Schnittmuster:

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert