In der Reihe zum Thema Schnittanpassung gab es vor zwei Wochen bereits einen Artikel zum richtigen Ausmessen, bitte lest euch diesen Artikel zuerst durch, denn für die richtige Anpassung ist ein richtiges Ausmessen essentiell. Man kann auch über Probemodelle und Abstecken anpassen, aber heute geht es in erster Linie darum, wie man anhand seiner individuellen Maße seine Schnittmuster anpassen kann.
Hallo, ich bin Sophie von Näähglück, ausgebildete Modedesignerin und Schnittkonstrukteurin. Ich entwickle seit 2014 eigene Schnittmuster mit viel Augenmerk auf die individuelle Passform. In allen Anleitungen veröffentliche eine spezifisch für das Schnittmuster geschriebene detaillierte Anpassungsanleitung.
Heute möchte ich euch einen Einblick in die Anpassungen im Oberteil bei Damen geben. Die gleichen Methoden lassen sich aber auch auf die Kinder- und Herrenmode anwenden. Im nächsten Teil der Reihe geht es um die Anpassungen am Ärmel und weitere Details am Oberteil.
Je nach Art des Oberteils und der verwendeten Materialien gibt es verschiedene Dinge, die beachtet werden müssen und auch verschiedene Maße, die entscheidend sind. Bei einem Schnittmuster ohne Abnäher ist z.B. das Maß der Brusttiefe nicht relevant, bei einem nicht taillierten Schnittmuster ist auch das Maß der Taille nicht so wichtig.
Wichtige Maße bei der Anpassung am Oberteil:
- Brustumfang (a)
- Taillenumfang (b)
- Hüftumfang (c)
- Schulterbreite (h)
- Rückenbreite (k)
- Brusttiefe (o)
- Rückenlänge (q)
- Vorderlänge (t)
- Abstand höchste Stelle Brust (u)
1. Anpassungen der Körpergröße – Längenmaße (Kurz- & Langgrößen)
In meinen Anleitungen empfehle ich immer zunächst einmal das Schnittmuster an seine Körpergröße anzupassen. Die Längenanpassung erfolgt dabei entweder in einem Stück an der Taille oder geteilt an der Taille und unten am Saum. Nur die Länge an der unteren Kante hinzuzufügen oder abzuziehen funktiniert nur bei untaillierten Schnittmustern. Damit die Position der Taille und der Brust jedoch richtig sind, sollte die Mehrlänge oder das was abgezogen wird aufgeteilt werden. Zusätzlich empfiehlt sich auch eine Anpassung des Armlochs, darüber schreibe ich jedoch das nächste Mal.
Üblicherweise werden Schnittmuster für Damen für eine Körpergröße von 168 cm erstellt. Überprüfe, ob in deinem Schnittmuster ein anderes Maß angegeben ist. Diese hier in der Tabelle angegebenen Werte sind Durchschnittswerte und können von deinen individuellen Maßen abweichen. Als Orientierungswerte haben sie sich aber in den letzten Jahren immer gut bewährt.
Körpergröße in cm | 152 | 158 | 160 | 164 | 168 | 172 | 174 | 180 |
Änderung Länge Vorderteil an der Taille | – 2 cm | – 1,5 cm | – 1 cm | – 0,5 cm | +- 0 cm | + 0,5 cm | + 1 cm | + 1,5 cm |
Änderunf Länge Vorderteil an der Hüfte | – 2 cm | – 1,5 cm | – 1 cm | – 0,5 cm | +- 0 cm | + 0,5 cm | + 1 cm | + 1,5 cm |
Teile das Vorderteil und das Rückenteil an der Taille und der Hüfte an der eingezeichneten Linie.
Für Langgrößen werden die Teile nun nach den entsprechenden Maßen aus der oberen Tabelle auseinandergeschoben und danach die Seitennähte wieder begradigt.
Für Kurzgrößen werden die Teile nach dem entsprechenden Maß aus der Tabelle übereinandergeschoben und danach die Seitennähte wieder begradigt.
Für Langgrößen kann auch oberhalb des Abnähers noch der Armausschnitt erweitert werden (siehe grüne Linien). Das schreibe ich aber auch das nächste Mal noch genauer.
Wichtig ist natürlich alle Änderungen immer auch auf eventuelle Belege oder Futterschnittteile zu Übertragen.
2. Anpassungen der Rücken- und Schulterbreite
Für das Verbreitern des Rückens gibt es zwei Varianten:
Erstens eine Verbreiterung/Verschmälerung NUR am Rücken:
Miss deine Rückenbreite und vergleiche sie mit den Maßen in der Maßtabelle. Bestimme so, wieviel schmaler oder breiter deine Rückenbreite sein soll. Nun kannst du das entsprechende Maß von der hinteren Mitte deines Schnittmusters abziehen bzw. hinzufügen.
Zweitens eine Verschiebung in Richtung Vorderteil:
Je nach Körperhaltung kann es sein, dass die Seitennaht nicht richtig sitzt, und auch der Ärmel nicht an der richtigen Position liegt. Wenn die allgemeine Weite jedoch passend ist, kann es an der Position der Seitennaht liegen.
Hierfür wird an der Seitennaht im Rückenteil etwas hinzugefügt oder abgezogen und der entsprechende Betrag dann am Vorderteil abgezogen bzw. hinzugefügt.
Wenn deine Schulterbreite breiter als in der Maßtabelle ist, kannst du die Schulterbreite im Schnittmuster verbreitern, indem du den Armausschnitt inklusiver eventueller Abnäher kopierst und um den Achselpunkt so weit drehst, bis der Schulterpunkt erreicht ist, den du möchtest. Zeichne nun die neue Schulternaht ein (grün).
Kontrolliere dann, ob deine Brusttiefe noch stimmt und passe sie eventuell nach der nachfolgenden Anleitung an.
3. Anpassungen der Brusttiefe und Brustbreite
Diese Anpassung ist nur relevant, wenn dein Schnittmuster einen oder mehrere Brustabnäher besitzt. Zunächst einmal solltest du den Brustpunkt am Schnittmuster finden. Dieser ist meist ca. 2 cm von der Abnäherspitze entfernt. Miss nun die Brusttiefe im Schnittmuster aus (von der Schulter zum Brustpunkt) und rechne dir aus, wieviel du den Brustpunkt nach oben oder unten schieben musst. Miss zusätzlich den Abstand zur vorderen Mitte im Schnittmuster und vergleiche ihn mit dem gemessenen Wert der Entfernung deiner Brüste. Rechne dir aus, wieviel du den Brustpunk nach links oder rechts verschieben musst.
Zeichne dir den korrigierten Brustpunkt ein und verschiebe den Abnäher entsprechend. Wenn dein ursprünglicher Abnäher in einer gebogenen oder schrägen Linie endet, gehe wie folgt vor:
- Zeichne den neuen Brustpunkt ein. (im Bild das Beispiel für 2 cm weiter unten)
- Zeichne eine Linie vom neuen Brustpunkt parallel zur unteren Abnäherlinie ein. Schneide entlang der neuen Linie und der Verbindung von neuem zu altem Brustpunkt ein.
- Drehe das abgeschnittene Stück um den neuen Brustpunkt, sodass die obere Ecke auf die alte obere Abnäherlinie trifft. Klebe ein Reststück Papier darunter. Zeichne die Mittellinie des Abnähers ein.
- Falte den Abnäher und schneide das Überstehende ab und falte den Abnäher wieder auf.
- Zeichne die neue Abnäherspitze 2 cm vom Brustpunkt entfernt ein. Zeichne anschließend die neuen Abnäherschenkel ein.
4. Abnäher verlegen, verschieben, vergrößern, entfernen
Grundsätzlich können Abnäher sehr einfach verlegt und verschoben werden. Hierfür kannst du dein Schnittmuster vom Brustpunkt aus in jede beliebige Richtung einschneiden und drehen. Hier habe ich das mal an vielen Beispielen veranschaulicht. Auch wenn die Abnäher unterschiedlich groß sind – so ist jedoch der Abnäherinhalt immer derselbe. Denn es wird kein zusätzlicher oder weniger Stoff benutzt, die Passform ist jeweils identisch.
Das Weglassen von Abnähern ist nur bedingt möglich. Dies funktioniert, wenn ihr einen kleineren Brustumfang als im Schnittmuster angegeben habt, das Material viel dehnbarer als angegeben ist (Bild 1) und oder wenn genügend Mehrweite zum Schnittmuster hinzugegeben wird (also z.B. eine Bluse, die ab der Brust locker fällt, Bild 2). Die Mehrweite von Abnähern kann auch in Falten oder Rüschen gelegt werden (Bild 3). Abnäher können auch in Teilungsnähten „versteckt“ werden (Bild 4).
Für eine großere Brust empfiehlt es sich die Abnäher zu vergrößern und Mehrweite durch zusätzliches Auseinanderschneiden und auseinanderdrehen der Schnittteile zu erreichen. So wird die Vorderlänge und die Vorderbreite des Schnittmusters größer. Hier vergrößert sich auch der Abnäherinhalt. Auf die gleiche Weise können auch Abnäher verkleinert werden, indem man die Teile anstelle von nach außen nach innen schiebt. Die vordere Länge muss dann etwas gekürzt werden.
Ich hoffe, ich konnte euch einen guten Überblick und Einblick in die Schnittanpassung geben, wenn ihr Fragen habt, könnt ihr diese natürlich in den Kommentaren stellen.
viele Grüße Sophie von Näähglück
Pingback: SonntagsDing: Schnittmusteranpassung für eine Taillenschrägstellung – Die Ebookmacher
Ein absolut genialer Artikel, der Lust macht, sich in das Thema weiter zu vertiefen!
Liebe Ebookmacher,
was für ein lehrreiches Sonntagsding. Habe mir gleich alles ausgedruckt. Denn als nicht „Normfrau“….denn mit 55 fällt die Figur aus der Norm. Der „Mittlere Ring“ bekommt dann eine neue Bedeutung. Der Hintern wird flacher.
Aber die Lebenslust wird immer mehr!!!
Ich habe soviel Spaß mir schöne Kleidung zu nähen und mit euren tollen Tipps wird die Passform in Zukunft noch besser.
Vielen tausend Dank und macht weiter so.
Es grüßt euch euer Fan Karin
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